Homepage der Familie Dörscheln
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203 — Vom Wider­ruf zur Rev­o­lu­tion

Das Edikt von Nantes wurde durch das Revoka­tionsedikt von Fontainebleau (17. Okto­ber 1685) aufge­hoben(1).

Das bedeutet

  • Zer­störung sämtlich­er Kirchen
  • Ausübungsver­bot der “soge­nan­nten reformierten Reli­gion”
  • Kon­ver­sion der Pas­toren oder Emi­gra­tion
  • Schlies­sung der protes­tantis­chen Schulen
  • Kinder­taufe durch einen katholis­chen Priester
  • Auswan­derungsver­bot. Auf Zuwider­hand­lung ste­ht Galeeren- oder Gefäng­nis­strafe.

Die Reak­tio­nen der Protes­tanten des Dauphiné sind sehr unter­schiedlich und man kann zwis­chen mehreren Hal­tun­gen unter­schei­den:

Viele weigern sich, die Prov­inz zu ver­lassen. Sie wer­den Neukon­ver­titen genan­nt. Manche von ihnen wer­den katholisch, weil sie ihre Ruhe haben wollen, auch aus Man­gel an Überzeu­gung, aus Oppor­tunis­mus oder ein­fach, weil sie ihre gesellschaftliche Stel­lung nicht ver­lieren wollen.
Andere wer­den “schlechte Katho­liken”, das heisst sie lesen weit­er die Bibel, lassen ihre Kinder taufen oder auch nicht, heirat­en aber nicht kirch­lich, son­dern beg­nü­gen sich mit einem notariellen Ver­trag.

Das tägliche Leben ver­läuft in jed­er Diözese anders:

In der Diözese Valence-Die set­zt der Bischof, Mgr. de Cosnac(2), die Drag­oner ein und ver­fol­gt mit gross­er Bru­tal­ität seine Zwangs- und Assim­i­la­tion­spoli­tik. Die Protes­tanten wer­den streng überwacht: Sie müssen zur Messe gehen, an der Kom­mu­nion teil­nehmen und Kinder wie Eltern den Reli­gion­sun­ter­richt besuchen.

Der Bischof ver­an­lasst immer häu­figer Ent­führun­gen von Kindern, die er in Klöster oder Kranken­häuser sper­ren lässt wie z.B. in Valence und Die.

In der Diözese von Greno­ble hinge­gen gelang es Bischof Le Camus(3), im August 1686, sich der Drag­oner zu entledi­gen. Er lehnte jeden Zwang ab und ver­traute auf Überzeu­gungskraft, ein gemäs­sigtes Ver­hal­ten sowie auf die Predigt, den Kat­e­chis­mus und die bib­lis­chen Tex­tausle­gun­gen. Er bemühte sich um echte Kon­ver­sio­nen, wollte lieber überzeu­gen als bru­tal vorge­hen. 1696 musste er allerd­ings ein­se­hen, dass seine Poli­tik ein Mis­ser­folg war(4).

Die Hart­näck­ig­sten der­er, die dage­blieben waren, nah­men bere­its 1686 “in der Wüste”(6) an heim­lichen Ver­samm­lun­gen teil(5), die von “Predi­gen­den”(7) geleit­et wur­den.

Das war an fol­gen­den Orten in der Drome der Fall:
Plan-de-Baix, Clos-Rond in der Nähe von Beau­fort, Le Bois de Vache bei Bour­deaux, Les Pialoux bei Baume Cornil­lane usw.,
im Trièves: in der Nae­he von Mens,
in den Hautes Alpes: Tresclèoux, Dormil­louse und Pier­re­grosse im Queyras.

Wenn diese Ver­samm­lun­gen ent­deckt wur­den, wur­den die Frauen in den Turm von Crest(8) oder ins Valencer Kranken­haus ges­per­rt, die Män­ner kamen auf Galeeren(9).

Die einen wie die anderen kon­nten auch gehenkt wer­den, vor allem die Predi­gen­den. Im Laufe des, Jahres 1689 ende­ten 19 Gläu­bige am Gal­gen.

Grausamkeit­en und Mis­shand­lun­gen des berühmten Folter­ers d’Hèrap­ine, auch La Rap­ine genan­nt, sind von Blanche Gamond aus Saint-Paul-Trois-Chateaux et Jeanne Ter­ras­son aus Die bezeugt wor­den.

In der Gegend von Bour­deaux entste­ht die erste Prophezeiungs­be­we­gung. Sie bedeutet Hil­fe für die Neukon­ver­titen bei ihrem geisti­gen Wider­stand. Die junge, aus Saou stam­mende Isabeau Vin­cent war 16 Jahre alt, hütete Schafe und kon­nte wed­er lesen noch schreiben, aber sie begin­nt ab Feb­ru­ar 1688 nachts zu reden:

“Zeigt Reue … Lasst uns fest bleiben… Gehorcht den Geboten Gottes …”(10).

Sie hat­te einen gewalti­gen Zulauf, sog­ar von Men­schen aus anderen Prov­inzen. Im Juni wurde sie festgenom­men und in den Turm von Crest ges­per­rt, dann in ein Kloster in Greno­ble, aus dem sie für immer ver­schwand. Aber sie hat­te die Bewe­gung der “Kleinen Propheten” ins Leben gerufen, die im Vivarais weit­er existierte.

Später, ab 1715, wur­den 30 Jahre lang die Kirchen der Dauphiné von Jacques Roger “erneuert”. Er wurde im Mai 1745(11) in Greno­ble gehenkt. Zwei Monate früher war der junge Pfar­rer Louis Ranc in Die gehenkt wor­den. Daniel Vouland und Pierre Rozan sind eben­falls Pas­toren der “Kirche in der Wüste” so wie auch Jean Béranger, der 1767 als let­zter zum Tode verurteilt und sym­bol­isch hin­gerichtet wurde.

Erst sehr viel später, im Jahre 1787, wurde mit dem soge­nan­nten “Tol­er­anzedikt” der Per­so­n­en­stand der Protes­tanten geregelt. Allerd­ings ste­ht in diesem Edikt nichts über die Reli­gions­frei­heit und die Möglichkeit, Gottes­di­en­ste zu hal­ten.

Vie­len Protes­tanten aus der Dauphiné genügte diese Form “heim­lich­er” Frei­heit nicht. 10.000–12.000 wählten die Emi­gra­tion und sucht­en Reli­gions­frei­heit an ver­schiede­nen Zuflucht­sorten im Aus­land(12).

Die Gegen­den, die am meis­ten unter der durch den Wider­ruf aus­gelösten Fluchtwelle zu lei­den hat­ten, waren das Queyras, Gap und das Buech­tal, das Oisans­ge­birge und das Tal der Romanche (100% in Cla­vans, 70% in Mizoen), die Ebene von Valence und das Rhone­tal (über 50% in Mon­téli­mar). Genf und die Schweiz waren meis­tens nur Durch­gang­sorte. Von Frank­furt aus führte der Weg entwed­er nach Hes­sen — Kas­sel oder nach Bran­den­burg.

In Hes­sen — Kas­sel grün­de­ten die Hugenot­ten land­wirtschaftliche Kolonien. Diejeni­gen, die aus Die stammten, in Franke­nau und Louisendorf (1688), die, die aus Abriès im Queyras kamen, in Carls­dorf, die aus Embrun in Daub­hausen und Greifen­thal (35 km süd­west­lich von Mar­burg)(13).

Die vie­len Flüchtlinge, die nach Bran­den­burg(14) gin­gen, liessen sich in Berlin(15), Burg, Magde­burg, Hal­ber­stadt und Halle nieder. Ab 1703 stiessen die Protes­tanten aus Orange zu ihnen, die das Her­zog­tum auf Grund der Beset­zung durch die Trup­pen Lud­wig XIV. ver­lassen mussten.

Die Wege ins Exil sind voller Hin­dernisse, beson­ders schw­er ist es, das Her­zog­tum Savoyen zu durch­queren. Oft enden diese Wege ins Exil mit Gefäng­nis und Tod(16).

Anmerkun­gen

  1. Edikt von Fontainebleau
  2. Daniel de Cosnac, Bischof von Valence und Die (1664–1687)
  3. Eti­enne Le Camus, Bischof von Greno­ble (1671 bis 1707)
  4. “Ihre Bibel und die Psalmen stärken sie ; sie ver­sam­meln sich heim­lich in kleinem Kreis, wo sie ein paar Kapi­tel lesen und der Geschick­teste dann mit ihnen redet, so wie sie bei der Geburt der Ket­zerei tat­en. Sie fühlten sich bei dem Gottes­di­enst in fremder Sprache unendlich ver­loren”. (Brief an Hochwür­den de Bar­il­lon, Bischof von Lucon, vom 20. Juni 1696).
  5. Eine heim­liche Ver­samm­lung, Bild von Max Leen­hardt, “Die Helden der Gewis­sens­frei­heit” (19. Jh.)
  6. “Die Wüste”: Lich­tun­gen, Grot­ten, ver­lassene Stein­brüche, entle­gene Orte, wo die heim­lichen Ver­samm­lun­gen stat­tfan­den.
  7. “Predi­gende”: Män­ner oder Frauen, Laien, die die Pfar­rer ver­trat­en und heim­liche Wan­der­predi­ger wur­den.
  8. Der Turm von Crest ist ein “Turm der Stand­haftigkeit” in der Dauphiné, in dem die einges­per­rten Hugenot­ten viele Wandze­ich­nun­gen hin­ter­lassen haben.
  9. Die Galeeren sind schnelle Schiffe auf dem Mit­telmeer, angetrieben von 250 Män­nern, durch Segel und Rud­er. Sie wur­den von “Türken”, Hugenot­ten und zum Tode Verurteil­ten bewegt. Zwis­chen 1683 und 1737 waren von ins­ge­samt 1550 hugenot­tis­chen Galeeren­sträflin­gen 247 Protes­tanten aus der Dauphiné. Paul Achard aus Chatil­lon wurde 1775 befre­it, nach­dem er 30 Jahre lang an seine Bank angeket­tet war.
  10. Dieser Text, der ganz zufäl­lig vor 25 Jahren auf einem Bauern­hof in “La Per­venche” in der Ardéche endeckt wurde, stammt von dem Anwalt Ger­lan, der die Prophezeiun­gen, die die junge Schäferin in der Nacht vom 20. zum 21. Mai gemacht hat­te, aufgeschrieben hat.
  11. Er ist der um 20 Jahre ältere Kol­lege von Antoine Court, der die reformierten Kirchen Frankre­ichs erneuerte.
  12. “Flucht der Reformierten aus Frankre­ich”, Stich von Jan Luyken (1649–1712), aus dem Jahre 1696.
  13. Thomas Gau­ti­er (1638–1709), geboren in Vil­laret (Val Clu­son), von 1679 bis 1685 Pro­fes­sor der The­olo­gie in Die, dann ab 1687 an der Uni­ver­sität Mar­burg, Porträt von Johann Peter Engel­hardt.
  14. “Der Grosse Kur­fürst empfängt die Refugiés in seinen Staat­en”, Stich von Chodowiec­ki aus: Mémoires pour servir l’his­toire des réfugiés fran­cais… (Um der Geschichte der Refugiés zu dienen…), Erman und Reclam, Berlin 1782 — 1799.
  15. Die Berufe der Emi­granten in Berlin
  16. Im Dezem­ber 1685 wur­den 50 Bürg­er aus Mens in der Nähe von Séchili­enne festgenom­men: Fran­cois de Hélis wurde enthauptet, Mar­guerite Pel­lat mit noch zwei anderen Gefährten gehenkt.
    Im August 1686 wur­den 240 Hugenot­ten aus dem Oisans in Saint-Jean de Mau­ri­enne festgenom­men: Sie kamen ins Gefäng­nis, an den Gal­gen oder auf Galeeren.
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