Homepage der Familie Dörscheln
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1997/​02 — Rom oder Avi­gnon

Papst Johann XXII und seine Beziehung zur Rück­kehr nach Rom

Beiträge zur Fam­i­lien­forschung — NF — Band 1 — 1.Jahrgang 1997 — Heft Nr.2


Von E. W. Dörscheln — Univ. Ob. Prä­para­tor i. R.

Von Haus aus hat­te Johann XXII an der Rück­führung der Kurie nach Rom nicht mehr Inter­esse als Clemens V, mit dem die baby­lonis­che Gefan­gen­schaft begann. Die Unsicher­heit, die zu Anfang des 14. Jahrhun­derts in Ital­ien herrschte, und die Machtkämpfe der Parteien, die Rom zer­rüt­teten, zwan­gen die Päp­ste, Asyl in einem gastlicheren Land zu suchen.Johann war Cahorsin­er von Geburt und rühmte sich, als solch­er dem franz. Königshaus anzuge­hören. Seine Lauf­bahn hat­te er in Anbah­nung an den Hof von Neapel begonnen. Er war vom Kan­zleiposten unter Karl II auf den erzbis­chöflichen Stuhl der Provence Avi­gnon befördert und von da 1312 durch Clemens in das Kar­di­nal­skol­leg aufgenom­men worden.(Cahors — Haupt­stadt d. frz. Dep. Lothrg.-Bischofssitz)

1314 ver­starb Clemens und der päp­stliche Stuhl blieb bis 1316 leer, da sich Ital­iener und Fran­zosen nicht auf eine gemein­same Per­son und den Wahlort eini­gen kon­nten.

Die Wahl kam auf die Weise zus­tande, daß Graf Philipp von Poitou, der zweite Sohn und Nach­fol­ger König Philipps des Schö­nen, einen ihm geneigten Papst zur Anerken­nung sein­er Ansprüche auf die franz. Kro­ne bedurfte. Er zwang die ver­streuten Kardinäle kurz­er­hand zu Lyon ins Kon­klave (streng abgeschlossen­er Ver­samm­lung­sort) und zur Wahl. Zu den 15 Stim­men der gascog­nis­chen und franz. Partei, die sich schließlich auf den Süd­fran­zosen und Kan­di­dat­en Robert von Neapel, Kar­di­nal Jakob Due‘se geeinigt hat­ten, kam als sechzehnte die des Ital­ieners Napoleon Orsi­ni, der damit die Wahl 1316 entsch­ied.

Orsi­ni war eine treibende Kraft in der Rom­frage. Er gab seine Stimme Jakob Due‘se, weil ein voraus­ge­gan­gener Bruch mit seinen ital­ienis­chen Glaubens­brüdern stattge­fun­den hat­te.

Ein Zeitzeuge ist der Arag­o­nier (Aragon — nördlich­es Spanien) Arnald de Cubis, der unter dem 11. August 1316 — vier Tage nach der Wahl von Jakob Due‘se — seinem königlichen Her­rn schreibt, daß Napoleon Orsi­ni ihm gesagt habe, daß der neue Papst auf alle Weise nach Rom gehen wolle. Orsi­ni hat­te es so einzuricht­en ver­standen, daß seine Stimme, je nach­dem er sich entschei­den würde, für oder gegen die Wahl Due‘se, den Auss­chlag geben mußte.

Er hat­te sich Zusicherun­gen geben lassen und eine gün­stige Erk­lärung in Sachen der Rom­frage.

Mit der eis­er­nen Energie, der auch das Alter von siebzig und mehr Jahren, mit dem Johann XXII den Thron Petri bestieg, nichts anhab­en kon­nte, hat er vom ersten bis zum let­zten Tag seines Pon­tif­ikates um die Wieder­her­stel­lung der päp­stlichen Herrschaft in Ital­ien gerun­gen, bis er im Jahre 1334 ver­starb.

In der Zeit der sogen. “Baby­lonis­chen Gefan­gen­schaft (13O9 — 1377), die eine Abhängigkeit des Pap­st­tums vom franz. Königshaus mit sich brachte, waren die äußeren und inneren Angele­gen­heit­en an der Kurie durch höch­ste poli­tis­che Brisanz gekennze­ich­net und bracht­en dadurch ein hohes Maß an Kor­re­spon­denz und Ver­wal­tung mit sich. Die Beamten an der Kurie, päp­stliche Zen­tral­be­hör­den und auch der päp­stliche Hof haben ihren Teil dazu beige­tra­gen, daß eine ganz beträchtliche Anzahl his­torisch­er Begeben­heit­en in unsere Zeit gelangt sind. Ein Beispiel hier­für ist die Abb. 1–2, und zwar die Über­set­zung des gesamten Schreibens aus dem Jahre 1318, welch­es unter der Mitwirkung des Mag­is­ter und Proku­ra­tors Arnoldus de Dorslon an der Kurie in Avi­gnon ent­standen ist.

In Anlehnung an meine früheren Aus­führun­gen

  • Spuren: Beiträge zur Fam. Forschg., Bd. 2, Jg.95 H. 5+9
  • Beiträge zur Fam. Forschg., Bd. 1, Jg.97 H. 1 NF
    u.a. aus dem Inhalt: Hin­weise von Arnoldus de Dorslon
  • Vat. Archiv Vienne: 1312 Nr. 355,356,357 — Avi­gnon: 1313 Nr. 1O63, Avi­gnon: 1315 Nr. 4O5, — 1316 Nr. 441, 1317 Nr. 449,458,466 —
    über seine Tätigkeit an der Kurie und die Urkun­den mit seinen Unter­schriften (in Dor­so)
  • sowie weit­ere gefun­dene Urkun­den in dieser Aus­führung. (Abb. 3–4)

Mit dem Tode des zweit­en franz. Pap­stes — Johann XXII — der während seines gesamten Pon­tif­ikates (Amts­dauer des Pap­stes) den Boden Ital­iens nicht betrat, ist für die Betra­ch­tung ein gewiss­er Abschluß erre­icht. In der Frage ob Rom oder Avi­gnon der kün­ftige Wohn­sitz der Kurie sein sollte, hat­te sich die Waage zugun­sten Avi­gnons geneigt.Die Kurie war in jen­er Zeit in Frankre­ich fest ver­wurzelt. Sie war es auch in dem Sinne, da sie nun wirk­lich in Avi­gnon eine neue Heimat gefun­den hat­te.

Unter Clemens hat­ten Papst und Kardinäle ein Wan­der­leben geführt. Ruh­e­los von einem Ort zum anderen ziehend, unter unsag­baren Beschw­er­den für die Kardinäle, weil die kleinen Städte der dama­li­gen Zeit auf das Zusam­men­strö­men der­ar­tiger Men­schen­massen zwecks Beherber­gung und Verpfle­gung nicht ein­gerichtet waren. Johannes hat die Kurie in Avi­gnon seßhaft gemacht. Er richtete sich im bis­chöflichen Palast ein, den er aus­bauen und ver­größern ließ. Der Ort war als Sitz für das Ober­haupt der Chris­ten­heit denkbar gün­stig, denn er war zu Wass­er und zu Lande von allen Seit­en leicht erre­ich­bar. (Abb. 5–8)

Dazu auf dem Boden des Are­lats (Are­latis­ches Reich — Kön­i­gre­ich im S/​O Frankre­ichs, mit der Haupt­stadt Arles), das poli­tisch durch das Fehlen ein­er wirk­lichen staatlichen Oberge­walt ent­fer­nt an den römis­chen Kirchen­staat erin­nerte. Die Kurie hat­te begonnen, sich häus­lich einzuricht­en.

Hat­te Clemens bei seinem Aufen­thalt in der Stadt noch pro­vi­sorisch im Kloster der Dominikan­er gewohnt, so hat­te sich Johann im bis­chöflichen Palast ein­gerichtet. In Sorgues war eine Som­mer­res­i­denz des Pap­stes ent­standen. Die Kardinäle hat­ten ange­fan­gen, sich in der näheren und weit­eren Umge­bung Villen und Schlöss­er zu bauen.

Nach dem Tode Johann XXII 1334 begann Benedikt XII für sich und seine Nach­fol­ger jene Palast­fes­tung zu bauen, die noch heute auf die Däch­er und Straßen von Avi­gnon hernieder­schaut. (Abb.9–11)Es sollte ein Wahrze­ichen sein, daß die Kurie hier noch lange zu beste­hen und ihre Frei­heit zu vertei­di­gen gedenke. Avi­gnon hat­te Rom zu dieser Zeit den Rang abgelaufen.Das Pap­st­tum geri­et dadurch aber auch in eine starke poli­tis­che Abhängigkeit vom franz. Königshaus.Die Bischof­sstadt am Rhone kon­nte den Papst jedoch nicht für immer an sich fes­seln.

Dazu fehlte das Beste, die uralt-heilige Tra­di­tion der ewigen Roma, denn 1377 unter Papst Gre­gor XI (gest. 1378) kehrte die Kurie von Avi­gnon endgültig nach Rom zurück.
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