Homepage der Familie Dörscheln
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302 — Brief von Phillipe an Jean (1564)

Phillipe de Maiz­ière, Sohn eines Lan­dadeli­gen in Süd­frankre­ich schreibt am 18. Sep­tem­ber 1564, also 40 Jahre nach dem Brief Lefèvres, einen Brief an seinen Fre­und Jean in Zürich. Im Kon­flikt zwis­chen Katho­liken und Protes­tanten waren mit­tler­weile bürg­erkriegsähn­liche Zustände in Frankre­ich ent­standen. Nach anfänglichem Mar­tyri­um hat­ten sich protes­tantis­che Städte und Gemein­den eben­falls bis an die Zähne bewaffnet und ver­sucht­en nun ihrer­seits mit Waf­fenge­walt ganz Frankre­ich protes­tantisch zu machen.

Aix-en-Provence, 18. Sep­tem­ber 1564

Mon cher Jean,

Ich bin nicht sich­er, ob mein­er let­zter Brief Dich in Zürich erre­icht hat. Ich habe keine Antwort erhal­ten. Aber die Zeit­en sind so unsich­er, dass ich nur inständig zu Gott beten kann, dass der Kurur dieses Briefes sein Ziel auch wirk­lich erre­icht.

In unser­er Gemeinde herrscht tiefe Trauer über den Tod Calvins. Einige sind schon ganz mut­los gewor­den und hal­ten unsere Sache für ver­loren. Andere sind aus Furcht über den gän­zlichen Ver­fall wieder zu den Katholis­chen überge­laufen. Aber ich kann es nicht glauben, dass Gott uns nach all den Jahren blutiger Kämpfe so schmäh­lich im Stich lassen wird.

So zer­ris­sen wie viele unser­er Gemein­den, liegt auch Frankre­ich am Boden. Unsere große protes­tantis­che Erhe­bung, die sich in den Anfangs­jahren so siegre­ich auszubre­it­en schien, stag­niert. Zwar haben wir Befür­worter und treue Kampfer des Glaubens auch auf königlich­er Seite. Seit dem Tode Antoines von Navar­ra vor zwei Jahren, haben seine Gat­tin, Jeanne d’Al­bret und ihr Sohn Hein­rich unsere Partei ergrif­f­en und in Gas­pard de Col­igny haben wir einen tüchti­gen Feld­her­rn, der die Sache Gottes wohl zu vertreten weiß — auf diplo­ma­tis­chem Par­kett genau­so wie auf dem Schlacht­feld. Doch die Regentin, Katha­ri­na von Medici, operiert geschickt mit wech­sel­nden Frak­tio­nen. Ein großer Teil der südlichen Prov­inzen ist fest für den protes­tantis­chen Glauben einge­treten und doch flam­men die großen und kleinen Kriegsh­erde im Lande immer wieder aufs Neue auf. Was nützen da alle schö­nen Friedensverträge — und ich kann Dir ver­sich­ern, einige Dutzende wur­den schon geschlossen und immer wah­n­witziger wur­den die dem jew­eili­gen Geg­n­er abgerun­genen Bedin­gun­gen. Doch die leis­es­te Ver­schiebung der Kräfte machte alle Verträge sofort wieder zunichte. Auge um Auge, Zahn um Zahn — so heißt es auf bei­den Seit­en.

Seit der Glaube zudem noch zum Spiel­ball auf der großen Bühne der Welt­poli­tik gewor­den ist, ist ein Ende des Blutvergießens vol­lends nicht mehr abzuse­hen. Das katholis­che Spanien dreht geschickt am diplo­ma­tis­chen Räd­chen, um die Kämpfe am Laufen zu hal­ten, denn je schwäch­er Frankre­ich, je mehr Macht und Ein­fluß sichert sich die spanis­che Kro­ne. Doch auch die Englän­der, die deutschen Län­der und auch der römis­che Papst ver­fol­gen begehrlich das Geschehen, um sich rechtzeit­ig ihren eige­nen Vorteil zu sich­ern. Es ist zum Weinen.

Mon cher ami, wahrschein­lich denkst Du, ich sei nun schon ganz trüb­sin­nig gewor­den, so hoff­nungs­los klin­gen wohl meine Worte. Ja, Du hast recht, seit mein­er Ver­wun­dung — wie stolz war ich auf meinem Schim­mel immer ganz an der Seite des großen Col­igny zu kämpfen — liege ich hier nun auf dem Schloß meines Vaters, hil­f­los wie ein Baby und werde von mein­er früheren Amme gepflegt — zwar aufopfer­ungsvoll, aber eben doch nur Weiberkram. O, ich wün­schte, ich kön­nte gle­ich wieder auf­ste­hen und zu den Waf­fen greifen. Vor eini­gen Tagen hörte ich, dass in Chartres ein heimtück­isch­er Über­fall der Katholis­chen erfol­gt sei. Der Bischof soll eigen­händig ein Kopfgeld für die Ergrei­fung Col­ignys aus­ge­set­zt haben. Wer ihn lebend ergreife und den Gericht­en aus­lief­ere, soll 6000 Gulden erhal­ten. Der­jenige, der ihn tot bringe, bekommt 2000 Gulden. O, wie abscheulich sind doch diese Machen­schaften der Priester.

Mein rechter Arm war ziem­lich zer­fet­zt. Der Dok­ter meint, er sei wohl nicht mehr zu gebrauchen. Auch mein guter alter Vater meint, ich solle jet­zt auf das Zeichen Gottes hören. Das sei nun mal der Beweis, dass es aus sei mit der protes­tantis­chen Sache. Wir reden erst seit eini­gen Tagen wieder miteinan­der. Mon papa ist immer noch entset­zt und erbost darüber, dass ich sein­erzeit zum protes­tantis­chen Glauben mich bekan­nt habe. Und der Stre­it lauert immer dicht unter unser­er höflichen Ober­fläche. Keines mein­er Argu­mente läßt er gel­ten. Die wirk­lichen Mörder und Ver­brech­er, das sind nach sein­er Mei­n­ung die Protes­tanten, diese Ket­zer, diese Hugenot­ten — ein übles Schimpf­wort, das jet­zt in aller Munde ist. Das Mor­den und Bren­nen von Män­nern, Frauen und Kindern, das Abschlacht­en hun­dert­er treuer unschuldiger Katho­liken durch die ket­zerischen Hugenot­ten, auf die statt des ewigen See­len­heils sein­er Mei­n­ung nach sowieso nur die ewige Ver­damm­nis wartet — für das alles macht er mich mit ver­ant­wortlich.

Auch wenn ich auf der Seite der gerecht­en Sache Gottes ste­he, so tre­f­fen mich diese Vor­würfe und lei­der kann ich sie nicht abstre­it­en. So stand er gestern mit hochrotem Kopf und flam­mend vor Zorn an meinen Kranken­lager: “Ihr Protes­tanten rühmt euch einst geduldig Ver­fol­gung fürs Evan­geli­um ertra­gen zu haben. Ihr wollt eure Feinde geliebt und Schlecht­es mit Gutem ver­golten haben. Woher kommt jet­zt diese große Verän­derung? Ihr tötet und mordet und stellt eure Feinde vor die Spitze eur­er Degen: zwin­gen wollt ihr sie sog­ar, sich bei euren Predigten einzufind­en. Zwin­gen wollt ihr Sie ihrem katholis­chen Glauben abzuschwören. Seit ihr etwa bess­er als wir Katho­liken? Sieht so die gerechte Sache aus, für die ihr kämpft. Ich habe keinen Sohn mehr!”

Allein, die Berichte über die Folter­meth­o­d­en der katholis­chen Inqui­si­tion, die in Chartres eine ganze protes­tantis­che Gemeinde vom Groß­vater bis zum Enkel hinge­mordet hat, läßt mit grim­miger Wut auch neue Kraft in mir wach­sen. Zum Teufel mit dem kaput­ten Arm. Noch habe ich einen gesun­den Linken. Gott wird mir die Kraft geben, für seine Sache weit­er zu kämpfen.

Es umarmt dich in Fre­und­schaft mit vielle­icht let­ztem Gruß

Phillipe de Maiz­ière
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