Homepage der Familie Dörscheln
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303 — Brief von Margeau an ihre Mut­ter (1572)

8 Jahre später, am 29. August 1572, schreibt die junge Ehe­frau Margeau de Saint-Ger­main einen Brief an ihre Mut­ter in Mar­seille. Die Fam­i­lie Saint-Ger­main wohnt in Paris und Margeau berichtet ihrer Mut­ter, wie sie durch ein Wun­der die Mas­sak­er an den Hugenot­ten in der Nacht des 23. August 1572, Bartholomäus­nacht genan­nt, über­lebt hat.

Paris, 29. August 1572

Lieb­ste Mut­ter,

Ihr seid gewiss schon vor Angst ver­gan­gen, da ihr seit der grauen­vollen Nacht vom 23. August noch keine Nachricht von mir erhiel­tet. Seid getröstet, die Kinder und ich sind wohlauf. Wir befind­en uns in Sicher­heit. Flo­rent kon­nte aus der Stadt rechtzeit­ig fliehen. Ich habe noch keine Nachricht von ihm, ob auch er in Sicher­heit ist. Und ich bete ganz fest zu Gott darum. In diesen schw­eren Zeit­en darf man die Hoff­nung nicht aufgeben.

Die Nachricht von dem furcht­baren Mas­sak­er hier in Paris wird Euch auch in Mar­seille entset­zt haben, dessen bin ich sich­er. Es sind viele Gerüchte im Umlauf, die von umstür­zlichen Ten­den­zen durch uns Protes­tanten, von Aufruhr gegen die Kro­ne sprechen. Glaubt ihnen kein Wort. Ich war dabei, liebe Mut­ter, und nur durch eine glück­liche Fügung Gottes blieben wir ver­schont. Durch die Straßen von Paris flossen Ströme von Blut und es erschaud­ert mich immer wieder aufs Neue, wie bes­tialisch unsere Glaubens­brüder hingeschlachtet wur­den. Und doch muss die Welt die Wahrheit erfahren.

Wenige Tage vorher noch schien die Ver­söh­nung der feindlichen Lager zum Greifen nahe. Paris strahlte zu Ehren der fes­tlichen Hochzeit der katholis­chen Regentin­nen­tochter, Mar­garete von Frankre­ich mit dem from­men Hein­rich von Navar­ra, dessen Herz ganz für unsere protes­tantis­che Sache schlägt. Aus dem ganzen Land waren Protes­tanten von Rang und Namen angereist. Mit dieser Hochzeit sollte endlich der Frieden in Frankre­ich besiegelt wer­den. Doch der feige Mor­dan­schlag auf unseren Führer Col­igny brachte Aufruhr unter den Protes­tanten her­vor. Nun zeigte sich das wahre Gesicht der Regentin. Der durch Ehe­bund zu schließende Friedenss­chluss erwies sich als weit­eres Mit­tel der Katholis­chen zur Ver­nich­tung der Protes­tanten.

Ganz Paris brodelte. Unruhe und Empörung auf der einen Seite, unver­hoh­lene Freude auf der anderen. Ein Gewit­ter braute sich über uns zusam­men und nie­mand wusste, wann es sich ent­laden würde. Flo­rent wollte, dass ich mit den Kindern sofort die Stadt ver­lasse. Aber ich kon­nte es nicht glauben, dass Gott in Paris, unserem schö­nen, stolzen Paris, dem Zen­trum von Macht und Wohl­stand, uns Protes­tanten ein Leid geschehen lasse könne. Doch Flo­rent war so unruhig und hart­näck­ig, dass ich schließlich ein­willigte für ein paar Tage meine liebe Cou­sine Marie-Antoinette zu besuchen. Marie ist zwar ganz und mit vollem Herzen der katholis­chen Kirche und dem Papst zuge­tan, wie Du ja weißt. Auch ist sie sehr trau­rig über unsere Nei­gung zu den Calvin­is­ten, weil sie doch sehr um unser See­len­heil fürchtet. Aber die geschwis­ter­liche Liebe, das Band unser Kindertage, die zärtliche Zunei­gung, die wir schon seit früh­ester Zeit füreinan­der hegen, lässt einen Glauben­szwist zwis­chen uns nicht aufkom­men. Gern war Marie bere­it, mich und die Kinder bei sich aufzunehmen, denn auch sie war von Furcht und Sorge über ein möglicher­weise dro­hen­des Unheil ganz unruhig. Es tröstete sie, uns ganz geeint zu wis­sen. Wir waren kaum angekom­men, waren mit Wohn­raum und Essen ver­sorgt wor­den, da brach auch schon der Sturm über Paris los.

Die Kinder waren an diesem Abend sehr quen­gelig und über­müdet gewe­sen. Die kleine Jeanette weinte, denn sie ver­stand nicht mit ihren drei Jahren, warum Sie fort von zu Hause, fort von Papa und der Nan­na musste. Wir hat­ten die Kinder ins Bett gebracht und saßen noch am Kam­in­feuer zusam­men, denn die Nacht war doch etwas kühl gewor­den. Da ertön­ten durch die Straßen lautes Rufen, viele Schritte hall­ten auf das Pflaster durch die Stille der Straßen. Es muss so gegen Mit­ter­nacht gewe­sen sein. Arnauld, Maries gast­fre­undlich­er Gat­te, ver­bot uns nach­se­hen zu gehen, was es da draußen in der Nacht so ein entset­zlich­es Gepolter und Gerenne gäbe. Er war über­haupt sehr merk­würdig an diesem Abend, so bedrückt, so niedergeschla­gen. Aber höflich wie immer, erwäh­nte er mit keinem Wort seine Befürch­tun­gen. Dann erk­lan­gen Schreie, hohe, spitze Schreie, Waf­fengek­lirr, zer­brechende Fen­ster­scheiben, zer­split­tern­des Holz — und Schreie, wieder und wieder Schreie, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen. Marie und ich, wir bei­de saßen vor Angst und Entset­zen wie gelähmt auf der Chaise­longue und hiel­ten uns ganz wie in Kinderta­gen mit bei­den Armen fest umfan­gen. Arnauld stöh­nte und bedeck­te sein Gesicht mit den Hän­den. Nie­mand im Raum sprach ein Wort, nur draußen auf der Straße ein lär­mender Schreck­en, der Stunde um Stunde kein Ende zu nehmen schien.

Schließlich hiel­ten wir diese entset­zliche Erstar­rung nicht länger aus. Als sich der Lärm und das Geschrei etwas gelegt hat­ten, ergriff Marie meine Hand und zer­rte mich in ihr Boudoir. Aus dem Schrank holte sie eine zweite schwarze Man­tille, solche, in welchen sie die mor­gendliche Frühmesse zu besuchen pflegt. Tief ver­schleiert und ganz katholisch wagten wir uns endlich auf die Straße. Arnauld stand mit hän­gen­dem Kopf und gesenk­ten Schul­tern regungs­los an gle­ich­er Stelle wie vorher, aber er hin­derte uns nicht am Ver­lassen des Haus­es.

Draußen bot sich uns ein Bild des Grauens, liebe Mut­ter, für das ich hier keine Worte mehr habe. In der Nach­barschaft waren an den Häusern die mas­siv­en Haustüren aufge­brochen als seien sie aus Papi­er und nicht aus schw­erem Holz. Über­all zer­split­tertes Glas, leere Fen­ster­höhlen, in denen Men­schen­leiber hin­gen oder schweigend im Nachtwind schaukel­ten. Die Straße vor uns war über und über mit Toten bedeckt, viele waren nackt, einige hat­ten nur ein not­dürftiges Nachtzeug an: Frauen, Män­ner, Kinder, Alte, Junge, Arme, Reiche.

Wir bah­n­ten uns eine Gasse, um den Ort des Schreck­ens zu ver­lassen und endlich Nachricht­en über das Geschehen zu erhal­ten. Da lief uns ein Söld­ner ent­ge­gen, bek­lei­det mit einem Umhang, auf dem ein großes weißes Kreuz prangte und rief mit has­sverz­er­rtem Gesicht: “Fort, fort, nach Hause, ihr from­men katholis­chen Frauen. Wir haben heute Nacht den Teufel erledigt. Col­igny ist tot und in den Tod ist ihm seine ganze höl­lis­che Protes­tanten­brut gefol­gt. Lang lebe Paris, lang lebe die Regentin, lang lebe der Papst. Vive la France catholique!”

Ja, liebe Mut­ter, nun leben wir gesund doch voller Angst um Flo­rent, ganz katholisch im Schutz von Marie-Antoinette und ich besuche jeden Mor­gen mit ihr zusam­men die Frühmesse, um nicht bei den Nach­barn aufz­u­fall­en. Gestern mor­gen hat der Priester dort einen Brief des Pap­stes ver­lesen. Die Nachricht­en, so hieß es, die er aus Frankre­ich über die Tötung und Ver­nich­tung der Rebellen, der Feinde Gottes, sein­er Kirche und der Kro­ne Frankre­ichs erhal­ten habe, hät­ten ihn mit Freude erfüllt! Und in Paris hat die katholis­che Kirche eine feier­liche Prozes­sion ver­anstal­tet, an der alle katholis­chen Wür­den­träger und die Kro­ne teil­nah­men, und an dessen Ende ein feier­lich­es “Te Deum” erk­lang: Nun dan­ket alle Gott!?

Ach, liebe Mut­ter, laßt uns um all die Toten weinen. Was bleibt son­st noch zu sagen.

Es küsst und umarmt Euch Eure Euch innigst liebende Tochter

Margeau de Saint-Ger­main

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