Homepage der Familie Dörscheln
Homepage der Familie Dörscheln

Von außen betra­chtet — Gedanken vom Mat­ten­rand

2017 ist ein Wahl­jahr — ein Super-Wahl­jahr eigentlich. Nicht nur in NRW, Schleswig-Hol­stein oder im Saar­land, auch auf Bun­de­sebene und in anderen europäis­chen Län­dern wurde und wird gewählt. Eigentlich haben wir wohl eine Wahl-EM oder sog­ar WM? Für uns geht das Spiel ‑um bei diesem Bild zu bleiben- nun in eine entschei­dende Phase, oder anders aus­ge­drückt: Die Wahl nähert sich langsam aber sich­er den Finalkämpfen. Und: natür­lich tut jed­er alles für sein Team, natür­lich ist jed­er von seinem Ansatz, von sein­er Tak­tik überzeugt und natür­lich will man den Geg­n­er übertrumpfen, für sich wer­ben… — das gehört ein­fach zum Wet­tkampf dazu.

Aber aus irgen­deinem Grund hat sich dieses Spiel, dieser Wet­tkampf verän­dert. 2017, da spielt man offen­sichtlich anders, aggres­siv­er. Dies ist ganz deut­lich zu merken.

Im Wahl­jahr 2017 scheinen alle Tabus gefall­en zu sein. Der Ton ist rauer gewor­den, nicht nur in der poli­tis­chen Diskus­sion auf nationaler oder inter­na­tionaler Ebene, nein, auch da, wo sich die ganz nor­malen Men­schen tre­f­fen: auf der Straße, in den Cafés oder Kneipen, in den sozialen Medi­en, und immer wieder und immer mehr sieht man sich mit Angst und Hass kon­fron­tiert. Immer häu­figer hört man von diesem DIE und WIR. DIE, die fremd sind und schuld an allem, und WIR, die sich endlich wehren müssten. Die Welt scheint aus den Fugen zu sein, sie lässt uns schwanken und verzweifelt nach einem Halt suchen-oder zumin­d­est nach Etwas oder Jeman­den, dem wir die Schuld für all dies geben kön­nen.

Dabei hat­te doch alles zumin­d­est was dieses eine aber wichtige The­ma anbe­langt- mit diesem einen Ausspruch, diesem einen Akt ein­er lang ver­mis­sten men­schlichen Poli­tik begonnen, der doch eigentlich ein Grund war stolz zu sein, der das Herz bewegt hat, der gerührt hat. Dieses: „Wir schaf­fen das“ und „In dieser Sit­u­a­tion haben wir die Pflicht zu helfen“. Egal, welche Inten­tion nun tat­säch­lich dahin­ter­stand, vielle­icht war es ein Verse­hen, vielle­icht nicht ernst gemeint oder vielle­icht doch ein Moment der Zuver­sicht und Rührung. Egal was es war, für einen Moment kon­nte die Bun­desregierung ‑die Men­schen, die unser Leben maßge­blich mitbes­tim­men- damit tat­säch­lich bewirken, dass wir ‑Men­schen aus einem sicheren europäis­chen Land- offen, fre­undlich und her­zlich auf diejeni­gen zug­in­gen, die anka­men, in Zügen, in Bussen, die erschöpft und ängstlich waren, die geflo­hen waren. WIR waren diejeni­gen, die Hoff­nung geben kon­nten, und DIE waren diejeni­gen, die Hoff­nung und Liebe so drin­gend notwendig hat­ten. Aber allzu schnell ver­welk­ten die Blu­men, die zur Begrüßung der Ankömm­linge, als Sym­bol der Liebe und Fre­und­schaft mit­ge­bracht wur­den und mit ihnen offen­sichtlich auch die Zuver­sicht in den Herzen der Men­schen. Vielle­icht war die Ent­täuschung zu groß über das Ver­hal­ten einzel­ner? Vielle­icht waren kul­turelle Unter­schiede und Gewohn­heit­en zu groß? Vielle­icht war die Bedro­hung, die Gewalt, die Angst aus ein­er anderen Welt, zu groß, zu bedrohlich, zu ang­ste­in­flößend?!

Zweifel und Fra­gen kamen auf: Erschw­eren DIE unser Leben? Wer­den WIR aus­genutzt? Haben WIR nicht das Recht uns dage­gen zu wehren? Auch Poli­tik­er, die für ein offenes und tol­er­antes Deutsch­land und Europa ste­hen, scheinen sich in diesen Tagen häu­fig nicht anders zu helfen wis­sen als pop­uläre Entschei­dun­gen zu tre­f­fen, die für die einzel­nen Schick­sale so unmen­schlich und her­z­los sind. Helfen diese Entschei­dun­gen im Kampf gegen diesen auf Hass, Angst und Mis­strauen aufge­baut­en Wahlkampf der demokratie- und europafer­nen Parteien? Sollen blind­er Hass und Angst wirk­lich dieses Spiel ‑diesen Wahlkampf- bes­tim­men? Der ist entschei­dend für UNSERE Zukun­ft, UNSEREN All­t­ag und UNSER Zusam­men­leben!
Poli­tik ist kom­pliziert und kom­plex — genau­so wie der Men­sch und seine Emo­tio­nen, die offen­bar seine Entschei­dun­gen bee­in­flussen.

Vielle­icht ist es für den Anfang hil­fre­ich ein wenig zurück­zutreten und den Blick in eine Sporthalle zu wen­den, eine von vie­len, denn bis hier­hin zeigten sich die Auswirkun­gen der soge­nan­nten Flüchtlingskrise.

Wir sind Judokas. Judo ist ein japanis­ch­er Kampf­s­port. Über­set­zt bedeutet Judo: „Der san­fte Weg“, auch wenn es auf der Judo­mat­te wirk­lich nicht immer san­ft zu geht. Uns begeg­nete die eben erwäh­nte „Flüchtlingskrise“ im Jan­u­ar 2016: Vier junge Män­ner aus Afghanistan besucht­en uns während des Train­ings­be­triebes in der Halle und bat­en mit den weni­gen Worten Deutsch, die sie seit ihrer Ankun­ft in Deutsch­land gel­ernt hat­ten, darum beim Train­ing mit­machen zu dür­fen. Diese Möglichkeit haben wir ihnen ‑wie viele andere Vere­ine auch- gerne geboten.

In unserem Sport ist es üblich, dass wir uns ‑entsprechend der japanis­chen Tra­di­tion- vor unserem Train­ingspart­ner und auch vor unserem sportlichen Geg­n­er ver­beu­gen. Damit drück­en wir unseren Respekt für einan­der aus. Diese Ver­beu­gung, dieser Respekt für einan­der bes­timmte auch den Umgang mit diesen aus einem frem­den und von Gewalt und Krieg bes­timmten Land geflo­henen Men­schen. Nach und nach merk­ten wir, dass es sich hier­bei nicht nur um eine leere Geste han­delte, son­dern um eine ehrliche und ern­st­ge­meinte. Auch wenn unsere erste Begeg­nung mit den jun­gen Afgha­nen wort­los war, so war sie doch durch die tra­di­tionelle Ver­beu­gung mit ein­er respek­tvollen und offe­nen Geste ver­bun­den, die von bei­den Seit­en getra­gen wurde.

Fehlen die Worte, dann kön­nen so kleine Gesten wie aufeinan­der zuge­hen, die Hand reichen oder auch eine sportliche Ver­beu­gung vor­einan­der einen respek­tvollen Anfang schaf­fen. Vielle­icht ist das entschei­dend.

Es dauerte nicht lange und unsere neuen Sportkam­er­aden fan­den Worte in unser­er Sprache, zeigten uns durch ihr Ver­hal­ten, durch ihr Bemühen, durch ihre Zuver­läs­sigkeit, durch ihren Respekt, ihre Dankbarkeit und ihre Freude, dass es sich gelohnt hat und dass es richtig war mit offe­nen Herzen auf einan­der zuzuge­hen.

Es dauerte nicht lange und unsere neuen Sportkam­er­aden fan­den Worte in unser­er Sprache, zeigten uns durch ihr Ver­hal­ten, durch ihr Bemühen, durch ihre Zuver­läs­sigkeit, durch ihren Respekt, ihre Dankbarkeit und ihre Freude, dass es sich gelohnt hat und dass es richtig war mit offe­nen Herzen auf einan­der zuzuge­hen.

Wir haben neue Fre­unde gefun­den, Fre­unde, die zu uns ste­hen und zu denen wir ste­hen, Fre­unde, mit denen wir lachen, Spaß haben und feiern kön­nen. Wir haben Fre­unde gefun­den, die für uns ‑sprich­wörtlich- ihr let­ztes Hemd geben, um uns zum Essen einzu­laden, oder um uns eine Freude machen zu kön­nen. Fre­unde, die uns ver­trauen, die von ihren Erleb­nis­sen erzählen, ihre Äng­ste und Träume mit uns teilen. Und damit haben sie uns eines der größten Geschenke über­haupt gemacht: Wir haben die Chance auf eine neue Sichtweise bekom­men, denn unsere Fre­unde haben uns bewusst­gemacht, dass wir hier ‑in unser­er Heimat, in dem Land, in dem wir ohne unser Zutun oder unseren Ver­di­enst geboren wur­den und leben- vom Schick­sal geküsst wur­den. Wir haben innege­hal­ten, zuge­hört und begrif­f­en, wie schön es hier ist, zusam­men mit unseren Fre­un­den, die uns erst darüber nach­denken ließen.

Was sie uns sagten, das uns zum Umdenken oder Neu­denken brachte? Was ist so beson­ders an dieser neuen Fre­und­schaft? Ganz ein­fach!

Wenn ein­er unser­er neuen Fre­unde, fast so über­wältigt vor Freude, weil er mit uns feiern gehen kann, mit Trä­nen in den Augen darüber sin­niert, dass das Schöne an Deutsch­land sei, dass man sich hier nicht ver­steck­en muss, dass man offen zeigen darf, wer man wirk­lich ist und was man denkt und sich deswe­gen nicht fürcht­en muss, deswe­gen ver­fol­gt oder gar getötet zu wer­den, das ließ und lässt uns innehal­ten.

Oder wenn unser­er Fre­unde uns an ihrem Aben­dessen teil­haben lassen und uns nahezu alles geben, was ihr Gaben­tisch zur Ver­fü­gung hat, uns freud­e­strahlend anse­hen und uns sagen, dass wir wie eine Fam­i­lie für sie sind und sie uns dann von ihren Fam­i­lien und Fre­un­den in Afghanistan erzählen, dann begreifen wir, dass Frieden schön ist. Wir braucht­en nie Angst um unsere Kinder, Fre­unde und Fam­i­lien haben, wir mussten uns nicht dazu entschließen unsere Fam­i­lien und Fre­unde zu ver­lassen oder sie auf die Reise in eine bessere Zukun­ft in einem frem­den Land zu schick­en, weil wir sie lieber deshalb nicht bei uns haben, um sie nicht irgend­wann beerdi­gen zu müssen. Wir mussten nicht in einem vom Krieg und Gewalt zer­fresse­nen Land aufwach­sen. Wir hat­ten Glück, wir wur­den wirk­lich vom Schick­sal geküsst.

Das soll nicht heißen, dass es hier jed­er Men­sch leicht hat, dass es hier immer fair zu geht, dass hier keine Schick­salss­chläge gibt. Aber das soll heißen, dass es hier Chan­cen und ein wenig Hoff­nun­gen gibt, für uns alle.

Zurück in die Sporthalle, zurück auf die Judo­mat­te. Was verbindet nun unser Zusam­men­leben im Vere­in mit der nationalen und auch inter­na­tionalen Poli­tik? Vielle­icht bietet der Blick aus der Sporthalle nicht viel, aber vielle­icht einen Ansatz. Vielle­icht soll­ten wir alle innehal­ten, für einen Moment nicht danach fra­gen, woher jemand kommt, welche Reli­gion oder vielle­icht sog­ar welche Sex­u­al­ität er oder sie hat oder ver­tritt. Vielle­icht sollte sich unser Denken und Han­deln am Sport ori­en­tieren. Beim Sport begeg­nen wir uns als Sportler: Auf dem Fußballplatz als Spiel­er, in der Schwimmhalle als Schwim­mer, auf der Judo­mat­te als Judo­ka. Nie­mand fragt nach Nation­al­ität, Reli­gion oder Haut­farbe. Das was hier zählt ist die sportliche Leis­tung und ‑das ist viel entschei­den­der: ungeachtet jed­er sportlichen Rival­ität- der gegen­seit­ige Respekt füreinan­der. In dieser Sit­u­a­tion ist es egal, ob wir Deutsche sind, Englän­der, Fran­zosen, oder auch Afgha­nen, in dieser Sit­u­a­tion sind wir Sportler, in dieser Sit­u­a­tion sind wir Men­schen, in dieser Sit­u­a­tion ist unsere Nation­al­ität: Men­sch.

Also: vielle­icht soll­ten wir auch außer­halb der Sporthallen und ‑plätze umdenken und uns ein­fach mit mehr Respekt begeg­nen. Denn Respekt nimmt bei­de Seit­en in die Ver­ant­wor­tung, Respekt ist nicht selb­stver­ständlich, Respekt muss gepflegt wer­den, aber Respekt kann der Anfang sein, für etwas Großes — ungeachtet jed­er Nation­al­ität.
Vielle­icht also soll­ten wir uns mit mehr Respekt vor- und füreinan­der unter­hal­ten und begeg­nen, auf den Straßen, in den Cafés, in den Kneipen, in den sozialen Medi­en, da wo wir ein­fachen Men­schen uns begeg­nen.

Und auch den poli­tis­chen Diskus­sio­nen täte ein biss­chen mehr Respekt füreinan­der, vor den Men­schen und ein Innehal­ten gut: Denkt nicht in diesen zwei Kat­e­gorien von WIR und DIE oder SCHWARZ und WEISS, argu­men­tiert nicht mit Hass oder Angst. Sich­er, diese Struk­turen funk­tion­ieren gut, das haben sie schon vor Jahrzehn­ten und Jahrhun­derten, zu Let­zt in den 1930ern. Das ist aber bes­timmt nicht die Grund­lage, auf der wir unsere gemein­same Zukun­ft auf­bauen wollen.

Diese Gedanken wer­den sicher­lich keinen großen Ein­fluss auf bevorste­hen­den poli­tis­che Wahlen oder grund­sät­zliche Ein­stel­lun­gen haben, aber das ist auch gar nicht der Anspruch.

Das hier sind nur Gedanken aus ein­er Sporthalle- vom Mat­ten­rand. Gedanken, die sich nur auf einen kleinen Bere­ich unseres Lebens beziehen. Gedanken, die vielle­icht bei dem einen oder anderen der Leser einen Moment des Innehal­tens, einen kleinen Gedanken­strich her­vor­ruft und vielle­icht bewirken, dass der- oder diejenige diese Sache mit dem Respekt ein­fach mal ver­sucht.

Nina Nau­joks, Sven Belau, Lau­ra Homuth und Thomas Dörscheln

Print Friendly, PDF & Email