Homepage der Familie Dörscheln
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304 — Brief von Aurélie an ihren Vater (1598)

Seit der Bartholomäus­nacht 1572 herrscht nun­mehr offen­er Krieg in Frankre­ich. Das Land ist zer­ris­sen und in einen protes­tantis­chen Süden und einen katholis­chen Nor­den geteilt. Die Ver­wüs­tun­gen haben ähn­liche Aus­maße angenom­men wie in Deutsch­land durch den 30-jähri­gen Krieg. Am 23. April 1598 schreibt die Sei­den­händler­stochter Aurélie aus Nantes, einen Brief an ihren Vater in Toulouse, der seit Monat­en durchs Land reist, um in der immer schlechter wer­den­den Wirtschaft irgend­wie zu über­leben.

Nantes, 23. April 1598

Mein innigst geliebtes Papachen,

O, ich wün­schte so sehr, Ihr kön­ntet hier sein. Doch lei­der hal­ten Euch Eure Geschäfte in Toulouse sehr lange auf. Hier ist alles in Aufre­gung und doch liegt ein Jubel über allem. Nun wird es endlich Frieden wer­den, mein lieb­stes Papachen. Ich spüre es ganz genau. Gottes Segen liegt nun auf Protes­tanten wie Katho­liken. Ach, Papachen, ich glaube fast, dass wir dieses üble Schimpf­wort “Hugenot­ten” aus ver­gan­genen Zeit­en doch ein­mal als stolze Ausze­ich­nung tra­gen wer­den.
Ihr werdet in Toulouse ja auch schon die große Nachricht gehört haben, doch ich muss es Euch ganz genau erzählen, so unglaublich erscheint es mir immer noch.

Denkt Ihr noch daran, wie unsich­er unser Leben war. Wie sehr Han­del und Wan­del unter den Kriegen, dem Mor­den und Bren­nen mehr als dreißig Jahre lang gelit­ten haben? Unser schönes großes Frankre­ich, zer­schun­den und zer­schla­gen, aufgeteilt und aus­ge­blutet in einen katholis­chen und einen protes­tantis­chen Teil. Und doch schien es, als wollte es kein Ende nehmen. Wisst Ihr noch, welchen großen Rückschlag auch Euer Sei­den­han­del erlitt, als nach dem Tode des Throner­ben, Franz von Anjou im Jahre 1584 nun das Ermor­den der Thron­fol­gern weit­erg­ing. Dem unge­heuren Machthunger der Herrscher­häuser und der Kirche schien Gott keine Gren­ze geset­zt zu haben. Kaum keimte ein Fünkchen Hoff­nung auf, als König Hein­rich III ein Bünd­nis mit uns Hugenot­ten zur Erneuerung der Reli­gions­frei­heit schloss, da machte der Mord an ihm, hin­ter dem ganz sich­er die Katholis­chen ste­hen, wieder alle Hoff­nung zunichte.
Denkt Ihr noch daran, dass trotz alle­dem auch Ihr Eure ganze Hoff­nung auf den Throner­ben Hein­rich von Navar­ra set­ztet. Er, der Schirmherr aller Protes­tanten, werde nun für Frieden sor­gen und Frankre­ich wird wieder blühen. Erin­nert Ihr Euch an Eure Worte?

Doch welch ein Schmerz, als aus­gerech­net Hein­rich von Navar­ra sein Herz und seine Kro­ne den Katholis­chen, dem Papst, zukehrte und mit den Worten “Paris ist eine Messe wert!” den protes­tantis­chen Glauben, unseren wahren Glauben, den Gelüsten Spaniens und dem Griff der papis­tis­chen Bour­bo­nen­priester nach der Kro­ne opferte. Da schien auch die let­zte Hoff­nung auf immer und ewig dahin gefahren. Mehr als zwei Mil­lio­nen Men­schen grund­los ermordet! Tausende und Aber­tausende von zer­störten Höfen und Häusern, Dör­fern und Städten, Wegen und Brück­en, verödete Län­dereien und ver­lassene Man­u­fak­turen — das alles sollte nun ganz und gar nut­z­los, umson­st gewe­sen sein? Und Du, liebes Papachen, sahst die Reste Deines einst so blühen­den Sei­den­han­dels zer­rin­nen im Nichts. Wer wollte denn noch Samt und Sei­de tra­gen, wenn selb­st Adel und Bürg­er gän­zlich ver­armt waren.

Und nun, wie durch ein Wun­der scheint die Welt über Nacht so verän­dert. Statt dun­kler Wolken ste­ht ein strahlen­der Früh­lingsmor­gen am Him­mel unseres lieben Frankre­ichs. Schon seit einiger Zeit riss hier in Nantes die Zahl der anreisenden Vertreter aller Stände und aller Kon­fes­sio­nen nicht ab. Der König wollte Katho­liken und Protes­tanten gle­icher­maßen an der Entwick­lung des Reichs beteili­gen. Doch die Reli­gion­s­ge­spräche woll­ten die Herzen der Men­schen so gar nicht öff­nen. Unnachgiebig forderte jede Seite ihren Vor­rang. Und auch der König hat­te sehr mit dem Mis­strauen der Katho­liken zu kämpfen. So schnell wird man offen­bar doch nicht wahrhaft katholisch, wie es scheint. Nie­mand glaubte hier in Nantes noch an eine Lösung. Doch vor eini­gen Tagen kam wirk­lich der langersehnte Ver­trag zus­tande, auf den alle gehofft, aber an den nie­mand mehr recht geglaubt hat­te. Am 13. August 1598 — ach, Papachen, notiert Euch dieses Datum in Eure Büch­er und lasst uns diesen Tag als ewigen Freuden­tag heili­gen — am 13. August 1598 rief der König das ewige und unwider­ru­fliche Edikt von Nantes aus, welch­es endlich die Reli­gions­frei­heit für uns Protes­tanten mit königlichem Siegel beurkun­det. Zwar mussten Zugeständ­nisse an die Katholis­chen gemacht wer­den — sie bleibt die Haup­tkon­fes­sion, doch laut­en die Worte des Edik­ts, welch­es hier in Nantes an allen Anschlagsäulen prangt: “… haben wir, Hein­rich IV, König von Frankre­ich, denen von der ange­blich reformierten Reli­gion ges­tat­tet und ges­tat­ten ihnen, in allen Städten und Orten Unseres Kön­i­gre­ich­es und in den Län­dern Unseres Macht­bere­ich­es zu leben und zu bleiben, ohne darüber befragt, bedrängt und belästigt, noch genötigt zu wer­den, in Sachen Reli­gion etwas gegen ihr Gewis­sen zu tun oder in ihren Häusern und an den Orten, in denen sie wohnen möcht­en, deswe­gen zur Rechen­schaft gezo­gen zu wer­den .…”

Lieb­stes Papachen, ich sehne mich schon nach Eur­er Rück­kehr. Wie wun­der­bar wird es sein, wenn wir endlich erhobe­nen Hauptes und in aller Öffentlichkeit ohne Angst unseren Gottes­di­enst besuchen dür­fen. Und nicht nur in unseren Kirchen, auch in den Adelshäusern dür­fen Gottes­di­en­ste abge­hal­ten wer­den. Denkt Euch, endlich dür­fen wir unsere liebe franzö­sis­che Bibel druck­en und ver­bre­it­en, dür­fen the­ol­o­gis­che Sem­i­nare abhal­ten und unsere Pfar­rer aus­bilden. Und Du, lieber Papa, wirst endlich für unseren Stad­trat kan­di­dieren kön­nen. Nie­mand wird unseren Kindern mehr den Schul- oder Uni­ver­sitäts­be­such ver­weigern. O, wie bin ich stolz, denn wir haben nun in Frankre­ich etwas, was in ganz Europa keinen Ver­gle­ich hat: die Tol­er­anz zweier, unter­schiedlich­er, ja, ver­fein­de­ter Kon­fes­sio­nen in einem Kön­i­gre­ich, ewig und unwider­ru­flich vom König ver­bürgt.

Been­det nur schnell eure Geschäfte und kommt nach Hause, lieb­ster Papa. Es küsst und umarmt Euch

Eure treue Tochter Aurélie
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