Homepage der Familie Dörscheln
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301 — Brief von Jacques an Pierre (1525)

Am 21. März 1525 schreibt Jacques Lefèvre d’E­ta­ples, Uni­ver­sität­spro­fess­er an der Sor­bonne in Paris, einen Brief an den Woll­we­ber Pierre Leclerc in Meaux, der dort nach dem Vor­bild Calvins eine reformierte Gemeinde gegrün­det hat. Lefèvre ist ein­er der führen­den The­olo­gen der protes­tantis­chen Bewe­gung. Er war der Erste, der die Bibel ins Franzö­sis­che über­set­zte. Auf­grund sein­er Veröf­fentlichun­gen wurde er vor der Inqui­si­tion als Ket­zer verk­lagt und ver­fol­gt.

Paris, 21. März 1525

Mein lieber Pierre,

Du wartest sich­er schon ungeduldig auf einen Brief von mir, aber meine Stu­di­en hier in Paris nehmen meine ganze Zeit so in Anspruch, dass kaum Platz für etwas Anderes bleibt. Doch sei gewiss, ich nehme her­zlichen Anteil an dem großen Gotteswerk, das Du in Meaux vorantreib­st.

Du schreib­st, dass sich nun schon mehr wahrhaftig Gläu­bige in Dein­er Woll­we­ber-Werk­statt ver­sam­meln als Du Platz hast, um gemein­sam die Bibel zu lesen,. Doch ich lese auch deut­lich zwis­chen Deinen Zeilen, dass Euch viel Hass von katholis­ch­er Seite das Leben schw­er macht, dass sie euch “Schwarzhälse” oder “Hugenot­ten” schimpfen. In der Augen der Katholis­chen ist ja bere­its das Bibelle­sen Ket­zerei. Aber das darf Euch nicht beir­ren im wahren Glauben: Gott allein ist es, der Gerechtigkeit durch den Glauben ver­lei­ht, der allein aus Gnade recht­fer­tigt zum ewigen Leben. Nur durch die Gnade Gottes kom­men wir in seine Liebe, kein Werk recht­fer­tigt uns, kein irdis­ch­er Ver­di­enst kann seine Gnade erzwin­gen. Unsere Arbeit, unser Beruf ist nicht Strafe und harte Buße für den aus dem Paradies ver­triebe­nen Sün­der. Unsere Arbeit, unser Wirken ist es, in dem allein der Segen Gottes erscheint.

Du schreib­st, dass auch in Meaux die Priester und Diener des Pap­stes gän­zlich ver­dor­ben seien, und wie sehr dich und Deine Glaubens­brüder der Schmerz über den Abfall der Kirche von der reinen Lehre bedrückt. Ja, ich höre es allen­thal­ben. Die Kirche ver­achtet die Arbeit, sie mißachtet den Gelder­werb als sündi­ges Treiben und ist doch selb­st der eifrig­ste Geld­schnei­der. Sie beutelt ohne Unter­schied Reich wie Arm durch Zehnt- und Pfar­rpfen­nige, sie treibt Han­del mit den heili­gen Reliquien, mit Heili­gen­bildern und Kreuzen wie der Bäck­er mit dem Brot. Ob See­len­messen, Bittprozes­sio­nen, Abso­lu­tion oder Ablass vom Fege­feuer — alles wird mit immer raf­finiert­eren Meth­o­d­en in klin­gen­des Gold ver­wan­delt, dass in den uner­sät­tlichen Taschen der Kirche ver­schwindet. Der ein­fache Bürg­er hat keinen Zugang zu Gott, dem Erlös­er. Davor ste­hen die Pfaf­fen und kassieren kräftig Ein­tritt, denn nur durch ihre Ver­mit­tlung, so behaupten sie, kommt der Sün­der ins Paradies. Mit Furcht und Angst vor dem ewigen Ver­lust des See­len­heils hal­ten sie die Gläu­bi­gen bei der Stange. Und vor den Augen aller Öffentlichkeit treiben sie noch Unzucht mit frechen Weibern, leben in Saus und Braus, kaufen sich Stel­lvertreter für Wall­fahrten — und lachen über die Dummheit der Welt. Es ist ein Jam­mer, wohin die heilige Kirche unseres Her­rn Jesu Christi gekom­men ist. Doch die Zeichen der Zeit kündi­gen durch uns eine nahe Erneuerung an.

Mein lieber Pierre, es freut mich immer wieder von ganzem Herzen, wenn ich lese, dass Du und die Deinen euch durch dieses gottes­läster­liche Treiben nicht irre machen lasst. Dass ihr fest zur Sache Gottes euch hal­tet und auch wack­er eurem Berufe nachge­ht. Denn, wenn wir nur unserem Beruf gehorchen, so wird kein Werk so unansehn­lich und ger­ing sein, dass es nicht vor Gott beste­hen und für sehr köstlich gehal­ten würde. Unsere Arbeit, unser Broter­werb ist Gottes­di­enst und heilig. Müßig­gang und Prasserei sind es, die die Men­schen verder­ben. Darum arbeit­et fleißig und lebt beschei­den, mei­det Rausch, Tanz und Spiel. Das sind die Ver­suchun­gen des Teufels.

Wenn Gott in sein­er uner­forschlichen All­wis­senheit doch schon das Schick­sal des Men­schen vorherbes­timmt hat, so fragst Du, woher kann ich dann wis­sen, ob Gottes Segen auf mir ruht oder ob ich zu den Ver­wor­fe­nen gehöre? Mein lieber Pierre, Gottes Gnade scheint durch Deine Werke. Sei Du nur tüchtig in Deinem Gewerbe, der Woll­we­berei. Gottes Reich­tum zeigt sich in Deinem Reich­tum. Dein Erfolg ist seine Gnade. Nur so wird Gottes Uner­forschlichkeit für den Men­schen sicht­bar.

Und so möchte ich euch bit­ten, auch das ganze Leben euer jun­gen Gemeinde dem bib­lis­chen Gesetz zu unter­w­er­fen. Wählt aus euren Rei­hen Gemein­de­v­ertreter. Wählt Priester, Lehrer und Diakone. Kein Papst, kein Bischof soll fern­er zwis­chen eur­er Gemeinde und Gott ste­hen. Dann wird eine neue Zeit und eine neue Sit­tlichkeit anbrechen. Faulen­z­erei und Prasserei wer­den abgelöst durch Arbeit­seifer und Sparsamkeit. Eine tiefe Gläu­bigkeit wird alle Lebens­bere­iche durch­drin­gen. Lasst ab von allen Äußer­lichkeit­en, zeigt Näch­sten­liebe statt Eigen­nutz, Ern­sthaftigkeit statt Leicht­fer­tigkeit. Statt an üppi­gen Mahlzeit­en, Flöten­spiel und Tanz„ labt und erfreut Euch an der Lek­türe der Bibel, an geistlichen Liedern, beson­ders den Psalmen. Seid beschei­den und bußfer­tig, dann wird sich der Reich­tum Gottes auch euch offen­baren.

Und fürchtet nicht eure Feinde. Im Abendmahl ist Chris­tus vom Him­mel gekom­men, uns mit Unsterblichkeit zu nähren und durch seinen Geist mit vol­lkommen­er Liebe zu berauschen. Dieser Geist macht unseren Glauben stark und für unsere Feinde unüber­windlich.

Es umarmt Dich und entsendet Grüße an alle Gläu­bi­gen euer Gemeinde

Dein treuer Fre­und Jean-Jacques Lefèvre
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