Homepage der Familie Dörscheln
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2. Entste­hung der Runen in der Mytholo­gie

Odin, ein­er der drei Söhne Bors und Best­las, war das As der Asen — der große Vor­sitzende im nordis­chen Göt­ter­rat. Eine Gestalt von unwahrschein­lichen Dimen­sio­nen: Herr des Him­mels, Ken­ner und Beherrsch­er aller Mys­te­rien, Dichter und Denker, Don Juan und ewiger Wan­der­er, Schlacht­en­lenker und Toten­gott: ausufer­nd nach allen Seit­en.

Als Herr des Him­mels resi­diert er in Asgard, auf einem reichgeschnitzten Hochsitz thro­nend. Zwei Wölfe, Geri und Fre­ki, lagen zu seinen Füßen, und schnappten nach den leck­eren Fleis­chhap­pen, die er ihnen zuwarf, denn Odin selb­st ernährte sich nur von Met. Auf seinen Schul­tern hock­ten die bei­den Raben Hug­in und Mug­in, der Gedanke und die Erin­nerung, seine bei­den hellwachen Infor­man­ten und flüsterten ihm ins Ohr, was sie von ihren Erkun­dungs­flü­gen rund um die Welt mit­ge­bract hat­ten.

Runen­stein aus der schwedis­chen Land­schaft Upp­land

Doch Odin wußte mehr, als seine kundi­gen Raben berichteten. Unabläs­sig ne,üht, alles zu ken­nen und zu ler­nen, begab er sich oft auf Wan­der­schaft, um ver­traute Gespräche mit Riesen und Elfen, mit Wald- und Wassergeis­tern zu pfle­gen und in men­schlich­er Gestalt in den Hüt­ten des Men­schen zu nächti­gen. Gern kehrte er auch bei Mimir ein, einem sein­er Onkel, der an den Wurzeln der Wel­tesche die Quelle der Weisheit bewachte. Um einen Blick in den Born der Erken­nt­nis zu wer­fen, hat­te Odin ein Auge geopfert. Einäugig zog er durch die Welt, im weit­en Man­tel, den Schlap­phut tief in die Stirn gezo­gen.

Trotz­dem sah er mehr als andere. Auch die Zukun­ft lag offen vor seinem tiefen, alles durch­drin­gen­den Blick. Odin ver­mochte, nach den Worten der Ynglin­gasaga, die Schick­sale der Men­schen vorauszusagen ‘und ihnen Tod, Unheil oder Krankheit zu bescheren…’ Er wußte von ver­gan­genen Schätzen und kan­nte Lieder und geheimnisvolle Formeln, die die Erde vor ihm öffneten, und ‘er ver­stand, durch Zauber­sprüche alles zu ban­nen, was darin wohnte’. Solche magis­che Kraft erlaubte ihm auch, nach Belieben die Gestalt zu wech­seln. Während ’sein Kör­p­er wie tot dalag’, führte Odin in Wahrheit das Leben eines Vogels, eines Fis­ches oder ein­er Schlange.

Odin ent­deck­te auch die Runen, jene geheimnisvollen nordis­chen Schriftze­ichen, die mehr der Magie als der Ver­ständi­gung dien­ten und daher vor allem auf Grab- und Gedenksteinen begeg­nen. Um sie zu find­en, nahm er eine Art mythis­chen Selb­stopfers auf sich. Neun Tage lang hing er im Geäst der Wel­tesche Yggdrasil, mit einem Speer ver­wun­det, vergebens auf Hil­fe wartend. Dann erblick­te er, tief unter sich auf dem Boden, die magis­chen Stäbchen, erre­ichte sie unter großen Qualen und fiel ver­jüngt und erneuert vom Baum — eine tief­sin­nige Erzäh­lung, die die rit­uellen Opfer­orgien des Nor­dens hin­länglich erk­lärt.

(…)

Rudolf Pört­ner — DIE WIKINGER SAGA — Knaur