Homepage der Familie Dörscheln
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305 — Brief von Marie-Char­lotte an Cècile (1685)

Das Edikt von Nantes 1598 löst eine Welle von Hoff­nung aus, Hein­rich IV möge die Eini­gung der Kon­fes­sio­nen gelin­gen. Doch unter der Ober­fläche brodelt es weit­er. 1610 wird Hein­rich IV durch einen katholis­chen Fanatik­er ermordet. Die Kriegsh­erde flam­men wieder auf. 1625 zer­stört Kar­di­nal Riche­lieu die unbe­siegte protes­tantis­che Bas­tion La Rochelle und leit­et damit den Nieder­gang der Hugenot­ten ein, der im öffentlichen Wider­ruf des Edik­ts von Nantes durch Lud­wig XIV im Jahre 1685 und der völ­li­gen Ver­nich­tung hugenot­tis­chen Lebens in Frankre­ich gipfelt. Wenige Tage nach dem Wider­ruf des Reli­gions­friedens von Nantes, schreibt am 3. Novem­ber 1685 Marie-Char­lotte Cor­nuel aus Paris einen Brief an ihre Tante Cècile in Preußen und bit­tet sie um Hil­fe zur Flucht.

Paris, 3. Novem­ber 1685

Meine liebe Tante Cècile,

von Papa und Maman hörte ich, dass Ihr und die Euren Euch in Preußen gut ein­gelebt habt und, dass Euch in Eur­er neuen Heimat sog­ar ein beschei­den­er Wohl­stand vergön­nt sei. Maman läßt euch her­zlich grüßen. Die ganze Aufre­gung und die Ungewis­sheit unser­er eige­nen Zukun­ft, haben Maman ganz krank gemacht. Der Dok­tor sagt, es sei das Herz und hat ihr viel Ruhe und Scho­nung ver­schrieben. Aber Papa drängt uns fortzuge­hen. Doch wohin?

Lieb­ste Tante Cècile, ich wende mich heute ganz verzweifelt an Euch mit der Bitte, uns zu helfen. Kur­fürst Friedrich-Wil­helm soll, so hört man, uns franzö­sis­chen Protes­tanten sehr wohlgeson­nen sein. Große Gebi­ete Land sollen zur Ver­fü­gung ste­hen und für den Han­del sollen alle Ein­schränkun­gen gän­zlich ent­fall­en. Das Wichtig­ste aber ist, die Preußen seien in Reli­gion­ssachen sehr tol­er­ant, so dass sog­ar Gottes­di­en­ste in franzö­sis­ch­er Sprache und franzö­sis­che Schulen erlaubt seien.

Liebe Tante, es ist doch weise und vorauss­chauend von Euch gewe­sen, rechtzeit­ig Frankre­ich zu ver­lassen. Obwohl Maman es damals gar nicht ver­ste­hen kon­nte, wie Ihr, Fran­zosen von den son­ni­gen, nach Wein, Orangen und Laven­del duf­ten­den Hän­gen der Provence in so ein kaltes und bar­barisches Land mit dieser unaussprech­lichen Sprache reisen kon­ntet. Doch nun müssen auch wir Euch bit­ten, bei den Deutschen um Ein­reiseer­laub­nis für uns nachzusuchen. Wer hätte das jemals geglaubt?

Papa meint, dass ohne die Ermor­dung unseres guten König Hein­rich IV, die Katholis­chen niemals wieder so die Ober­hand bekom­men hät­ten. Aber das ist ja nun auch schon so lange her. Ewig und unwider­ru­flich, wie König Hein­rich damals den Frieden von Nantes genan­nt hat­te, ist heute schon lange gar nichts mehr. Ich dage­gen bin der Mei­n­ung, dass man schon vor langer Zeit hätte erken­nen müssen, dass mit dem Fall von La Rochelle der Zeit­punkt für die Protes­tanten zum Ver­lassen des Lan­des gegeben war. Hat­te es denn damals nicht jed­er­mann lesen kön­nen? Schon 1625 hat­te Kar­di­nal Riche­lieu laut verkün­det: “Solange Hugenot­ten in Frankre­ich ein Staat im Staate sein wer­den, kann der König im Innern seines Reich­es nicht Herr sein und er kann auch außen keine großen Tat­en voll­brin­gen.” Hieß das denn nichts anderes, dass die Jahre der Tol­er­anz nun endgültig vor­bei waren, als königliche Trup­pen das protes­tantis­che La Rochelle, die blühende Hafen­stadt, Frankre­ichs Tor zur Welt, angrif­f­en und die Bevölkerung gnaden­los aushungerten, so dass die Stadt schließlich mit allem toten und leben­den Inven­tar den Katholis­chen geopfert wer­den musste. Nun­mehr hat­ten die Protes­tanten kein­er­lei Macht mehr, Leib und Leben, Hab und Gut der Gläu­bi­gen zu schützen.

Und nun scheint es fast zu spät zu sein. König Lud­wig XIV hat den Friedensver­trag von Nantes wider­rufen. Kann es noch schlim­mer kom­men? Katholis­che Kom­mis­sare kon­trol­lieren unsere Gottes­di­en­ste. Aller Zwang und Druck zielt darauf, dass wir uns wieder zum katholis­chen Glauben beken­nen. Groß­ma­man erzählte, dass in den Dör­fern Sol­dat­en bei protes­tantis­chen Bauern und Handw­erk­ern ein­quartiert wer­den, die sie ver­sor­gen müssen und zwar so lange, bis sie selb­st nichts mehr haben und vom Hunger­tod bedro­ht sind. Die Offiziere sollen für jeden Bekehrten eine Beloh­nung erhal­ten. In Limois soll eine ganze Gar­ni­son ein Dorf abgeriegelt haben. Man stellte Wachen auf Wegen und Plätzen auf, drang in die Häuser der Protes­tanten ein und schrie: “Ster­bet, ster­bet oder werdet katholisch!” Heim­lich habe ich belauscht, wie Papa Maman so furcht­bare Dinge erzählte, die er vor uns geheim gehal­ten hat. Ein Vergnü­gen der Sol­dat­en sei es, in die Häuser von Protes­tanten einzu­drin­gen und die Bewohn­er unter vie­len tausend Ver­wün­schun­gen und Gottes­lästerun­gen, Män­ner und Frauen, bei den Haaren oder bei den Beinen oben an die Deck­en der Zim­mer oder in die Kamine zu hän­gen und sie dann mit nassen Haaren so lange zu räuch­ern, bis sie es nicht mehr aushal­ten und laut nach Bekehrung schreien. Unser Bäck­er Gas­pary hat erzählt, dass es in Paris Wet­tbüros gibt, wo man Wet­ten auf die Zahl der Bekehrten abschließen kann. Ist das nicht alles abscheulich?

Liebe Tante, man kann es nicht glauben, was Men­schen andern Men­schen antun kön­nen, und das im Namen Gottes! Und nun, nach­dem der König das Edikt von Fontainebleau unter­schrieben hat, sollen wir nicht nur an Leib und Leben bedro­ht sein, son­dern uns ist jegliche Flucht, jegliche Auswan­derung ver­boten. Der König hat ange­ord­net, dass alle unsere Gotteshäuser zer­stört wer­den müssen, nir­gend­wo darf mehr eine Ver­samm­lung stat­tfind­en. Alle unsere Predi­ger müssen dem Glauben öffentlich inner­halb von zwei Wochen abschwören oder sie wer­den auf die Galeeren geschickt. Über­all wer­den jet­zt Wachen aufgestellt, um unsere Flucht zu ver­hin­dern. Mord­dro­hun­gen sind die Tage­sor­d­nung.

Papa hat heim­lich ohne Mamans Wis­sen all unsere Besitztümer zu Geld gemacht, dass er gut ver­steckt hat, wie er sagt. Auch hat er schon Kon­takt mit ver­trauenswürdi­gen Leuten geschlossen, die uns bei unser­er Flucht aus Frankre­ich helfen wollen. Es gibt jet­zt eine ganze Rei­he von Schein-Bekehrten, die ihre Möglichkeit­en nutzen, um Fluchtwege für diejeni­gen zu organ­isieren, für die eine Schein­bekehrung nicht in Frage kommt, die lieber ihre Heimat, ihr Vater­land ver­lassen, als ihrem Gott abzuschwören. Und alles muss heim­lich, ganz im Stillen geschehen.
Es ist schlimm, dass Maman so krank ist. Papa ist schon ganz verzweifelt. Doch wenn wir durch Eure Für­bitte, liebe Tante, eine Ein­reisegenehmi­gung erhal­ten, dann wird sich auch eine Lösung find­en, wie unsere Flucht organ­isiert wer­den kann.

Schreibe mir schnell, lieb­ste Tante Cècile,. Aber bitte, schicke Deine Antwort an Sophie de Marceau, 10, Rue Daguerre, Paris. Sie ist eine liebe Fre­undin aus from­men katholis­chen Haus, doch sehr ver­lässlich. Sie weiß Bescheid und wird uns helfen.

Ich set­ze meine ganze Hoff­nung auf Dich, liebe Tante und umarme Dich in Dankbarkeit

Deine Nichte Marie-Char­lotte