Der Landbote — NF — Band 1 — 5.Jahrgang 2003 — Heft Nr.29
Von E. W. Dörscheln — Univ. Ob. Präparator i. R.
Siegfried Dörscheln wurde am 13.04.1911 als 6. Kind des Fr.Wilh. Dörscheln und der Emma geb. Wolff zu Drescheiderhagen Kr. Altena/Westf. geboren.
Seine Kinder- und Jugendzeit war weitgehend geprägt dadurch, dass sein Vater Fr. Wilhelm Dörscheln ihn und seine Geschwister viel mit in die Wälder genommen hat, um Holz zu schlagen, Erbsenreisig oder Bohnenstangen für die Frühbeete zu suchen. Im Herbst waren die verschiedenen Beeren, sowie Nüsse, Eicheln oder Bucheckern zu sammeln, denn ein elterlicher Haushalt von 10 Personen war dringend auf Naturprodukte angewiesen. Deshalb musste er auch bald die Gartenarbeit erlernen. Eine beachtliche Ziegenherde, die sommers wie winters versorgt und gefüttert werden musste machte es außerdem erforderlich, Gras mit der Sense bzw. Sichel zu mähen. Anschließend musste das Heu eingefahren und auf dem Heuboden abgeladen werden.
Weiterhin gab es aber auch eine große Anzahl Kaninchen und Hühner zu versorgen, die hinter dem Wohnhaus und den angrenzenden Gartenanlagen untergebracht waren. Diese Tiere wurden von einem Schäferhund mit Namen „Wolf“ bewacht.
Auf diese Art und Weise lernte sich Siegfried früh in der Natur zu bewegen und auf die Stimmen und Geräusche des Waldes zu achten.
In den Bachläufen der Fuelbecker Talsperre erlernte er von seinem Vater das Fischen von Forellen mit der Hand. Diese Technik hat er auch später an einige seiner Kinder weiter gegeben.
Siegfried hatte stets eine gute Orientierung, um sich in der Landschaft zurecht zu finden. Diese Fähigkeit hat er auch später seinen Kindern weiter vermitteln können.
Im Haushalt seiner Eltern wurden Spazierstöcke hergestellt. So hat er zusammen mit seinem Vater die Rohlinge für die Spazierstock-Herstellung in Form von jungen Eichen‑, Eschen‑, Nuss‑, Weiß- und Schwarzdorntrieben gesucht. Wurden sie fündig, musste das entsprechende Exemplar herausgesägt werden.
Fr. Wilhelm Dörscheln hat, seit er auf Drescheiderhagen wohnte, in seiner Freizeit schöne und praktische Spazierstöcke hergestellt und sie an seine Familie aber auch an Bethel verschenkt. Siegfried Dörscheln hat auf seinen Wanderungen durch die Natur immer einen von seinem Vater hergestellten Spazierstock benutzt.
Siegfried war in seiner frühen Jugend schon sehr erfinderisch. Er war einer der ersten auf Drescheiderhagen, der sich ein Fahrrad aus verschiedenen alten Teilen zusammengebaut hatte. Damit fuhr er den Weg vom Hellenkopf bis in die Wohnung hinunter. Der direkte Weg ins Tal musste befahren werden, über Opas Wiese (steilste Stelle oberhalb der Wohnung), über den Fahrweg, die kleine Treppe runter, links ab weiter durch die Haustür, die 3 oder 4 Stufen hoch zur Flurebene – Höhe Küche, in die Küche hinein. Während der Fahrt durfte der Fahrer das Fahrrad nicht verlassen. Es ist nicht überliefert, ob diese Touren immer glimpflich ausgegangen sind. Später bekamen die Geschwister extra große Fahrräder von der Fa. Vaterland in Neuenrahde. („Vaterland das Markenrad – vorne hoch und hinten platt“).
Aus alten Kinderwagen baute er sich Seifenkisten, um ebenfalls auf abschüssigen Wegen sein Können zu zeigen.
Er bastelte gern mit Metallteilen, zeichnete und erfand Spielzeug.
Diese Materie lag ihm sehr und so war wohl auch deshalb sein Werdegang als Dreher, Schlosser und Werkzeugmacher vorgezeichnet.
Siegfried besuchte die Volksschule in Zum Hohle von 1917 bis 1925, welche er mit einem hervorragenden Abschlusszeugnis verließ. Nach dem Schulabschluss begann er eine Lehre bei der Fa. Enders im Rahmedetal, wo er in den vorgezeigten 3 Disziplinen ausgebildet wurde. Diese Ausbildung wurde von ihm gut abgeschlossen. Um sich noch weitere praktische Fertigkeiten aneignen zu können, arbeitete er weiter in diesem Betrieb bis ca. 1945. Unterbrechungen haben lt. RentenVersicherungs-Nachweis immer wieder stattgefunden, indem er u. a. als Landwirtschafts-Gehilfe tätig war. Ob dies kriegsbedingt war, ist leider nicht mehr zu erklären.
Am 05. 12. 1936 heiratete Siegfried Dörscheln Edith Derx geb. am 09.04. 1912 in Lüdenscheid. Das erste gemeinsame Domizil befand sich in Eggenscheid Kr. Altena. Dort wurde auch der 1. Sohn Ernst-Wilhelm am 27. 10. 1937 geboren.
Um siedeln zu können, hat er es durch Eigenleistung und vielleicht auch Ehestandsdarlehen zu einer Doppelhaus-Hälfte gebracht, und zwar auf Dünnebrett im Rahmedetal. Dies wurde zur damaligen Zeit bevorzugt jungen Familien ermöglicht. Seine Geschwister August und Johanna mit ihren Familien machten ebenfalls von dieser Möglichkeit Gebrauch. Beim Bau der Häuser waren die Siedler insgesamt verpflichtet, sich gegenseitig Hilfe zu leisten. Das begann zunächst mit dem Roden der Grundstücke, ging weiter bis zum Erstellen der Häuser und verschiedenen Innenarbeiten. Der Einzug ins neue Heim fand etwa 1938 statt. Es wurde den jungen Familien ermöglicht, einen großen Garten zu bewirtschaften und sich Tiere zu halten, so dass die Familie als solches recht unabhängig sein konnte.
In diesem Domizil wurde der 2. Sohn Wolfgang Diedrich am 26. 06. 1941 geboren. Dieser Familienspross schrie so laut, dass seine Mutter Türen und Fenster verschloss, damit die Nachbarn von dem Lärm nicht gestört wurden. Sie berichtete, dass sie sich geschämt habe.
Ein besonderes Ereignis trug sich im Winter des Jahres 1941 zu, als oberhalb der Siedlungsgärten junge Wildschweine in einer Wasserpfütze eingefroren und verendet waren. Siegfried handelte schnell und Ziel gerichtet. Er holte seine Axt und durchtrennte die Läufe der Tiere. In diesem Kriegswinter konnte man eine Zusatz-Ration Fleisch sicher gut gebrauchen. Um schnelle Hilfe zu bekommen, bat Siegfried seine Geschwister um Unterstützung, zwecks weiterer Verarbeitung.
Aus nicht geklärten Umständen verließ die junge Familie die Doppelhaus-Hälfte jedoch bereits im Jahre 1942.
Das nächste Domizil war ein Bauernhaus von 1841 in Horringhausen Nr. 20. Auch hier gab es um das Anwesen einen großen Garten, der bewirtschaftet werden wollte.
In diesem kleinbäuerlichen Domizil wurde der 3. Sohn Rolf Hermann am 10.02. 1944 geboren.
Auch im Sauerland litten die Menschen nun spürbar unter den Kriegseinwirkungen, und zwar besonders deshalb, weil sich dort Rüstungsfirmen u.a. Fa. Enders, inmitten von Fichtenwäldern und die nahe gelegene Fuelbecker Talsperre befanden, die von englischen Flugzeugen bombardiert wurden. Durch die geografische Lage der Firma, die in einem Tal lag, trafen die Bomben glücklicherweise nicht.
Familien und Kinder, besonders jene, die zu diesem Zeitpunkt zur Schule gingen waren von den Bombardierungen und Tiefflieger ‑Angriffen besonders stark betroffen, weil der Unterricht oft ausfiel und der Schulweg auf Grund dessen sehr gefahrvoll war.
Das Kriegsende erlebte Siegfried Dörscheln mit seiner Familie in dem bäuerlichen Anwesen. Dort wurde auch der 4. Sohn Hans Friedrich am 08. 06. 1945 geboren. Dazu ist zu berichten, dass im Lüdenscheider Raum eine amerikanische Besatzungsmacht existierte. Siegfried Dörscheln konnte die Hebamme nur mit Hilfe eines farbigen amerikanischen Offiziers und seines Fahrers erreichen. Diese holten die Hebamme ab und brachten diese in einem Jeep durch die diversen Sperrzonen nach Horringhausen.
Die Soldaten waren zu den Kindern sehr freundlich und versorgten diese bis zur Geburt ihres Bruders mit Kaugummi und Schokolade. Dem nervösen Vater boten sie zur Beruhigung eine Zigarette an, worauf dieser fürchterlich hustete und es ihm entsprechend schlecht wurde. Der jungen Mutter schenkten sie Milchpulver und Weißbrot. Die Kinder haben nur den schwarzen Soldaten angeschaut und wussten nun, dass es einen Mohren, wie aus dem Struwelpeter-Buch, wirklich gab.
Die Kriegs- und Nachkriegszeiten brachten es mit sich, dass in der Bevölkerung Gegenstände gegen Esswaren getauscht wurden. Diese Erfahrungen musste auch Siegfried Dörscheln machen. Aus seinen späteren Erzählungen wissen wir, dass er Bernsteinlack gegen Alutöpfe getauscht hat, um sie dann weiter gegen Schuhe einzutauschen. Am Ende bekam er bei einem Bauern dafür diverse Esswaren. Viele Menschen, die sich in dieser Zeit auf diese Art und Weise ihre Esswaren besorgt und nicht aufpassten, wurden von der Polizei kontrolliert. Darauf wurde ihnen alles abgenommen und sie standen erneut mit leeren Händen da. Das Tauschgebiet von Siegfried Dörscheln reichte von Plön bis Frankfurt/Main. Mit Vorliebe benutzte er öffentliche Verkehrsmittel, Reichs- oder Bundesbahn oder die Schmalspur „Kreis-Altenaer-Eisenbahn“ (KAE = Kummer, Angst und Elend). Die Lokführer bekamen etwas von dem Gehamsterten zugesteckt. Dafür durfte er, versteckt unter den Kohlen, mitfahren.
Aus dem Bauernhaus von Horringhausen zog Siegfried Dörscheln mit seiner Familie 1947 nach Nieder-Peddensiepen in eine Neubau-Wohnung. Der Umzug der Familie war eigentlich schon früher geplant, aber der Dachstuhl des Hauses war kurz vor Ende des Krieges durch einen englischen Tiefflieger total weggerissen worden, so dass erst ein Wiederaufbau stattfinden musste.
Der Tiefflieger hatte als eigentliches Angriffsziel einen Personenzug der Kreis-Altenaer-Eisenbahn im Visier. Der Pilot hatte zuletzt nicht mehr die Möglichkeit das Flugzeug hochzuziehen, so dass es nach dem Kontakt mit dem Dachstuhl auf einer höher liegenden Wiese explodierte.
Vor der Wohnung in Nieder-Peddensiepen fuhr die KAE (Kreis-Altenaer-Eisenbahn) vorbei. Wenn der Zug extrem langsam fuhr, konnte es sein, dass Siegfried mal wieder seine Hamstertour beendet hatte. Zunächst flogen einige der erworbenen Dinge aus dem Zug und dann noch einige Kohlen vom Brennmaterial der Lokomotive. Zuletzt sprang Siegfried hinunter. Nun nahm die Bahn wieder ihre normale Geschwindigkeit auf. Die Kinder sammelten die Dinge schnell ein und trugen sie nach Hause.
Ab 1946 arbeitete Siegfried Dörscheln wieder in seinem Beruf als Werkzeugmacher, Dreher und Schlosser bei der Fa. Hesse und Jäger in Lüdenscheid. Eine 2. Arbeitsstelle hatte er bei der Fa. Vogelsang, Lüdenscheid. Diese Tätigkeit gab er 1949 auf. Ab 1950 bis 1952 nahm er eine Tätigkeit bei der Fa. Friedrich Linden, Lüdenscheid auf. Diese Firma bot ihm außerdem ein ganzes Haus für seine Familie an.
Der Umzug in dieses Haus neben der Villa der Fam. Linden in Peddensiepen b. Lüdenscheid fand 1951 statt.
Hier legte Siegfried seine größte Gartenanlage in einem kleinen Seitental an. Ein Bach, der am Garten entlang floß, wurde durch kleine Teiche unterbrochen. In diesen waren allerlei Getier zu beobachten u. a. viele Forellen, die Ernst-Wilhelm und sein Freund Günter Hankammer in den Bächen der Fuelbecker Talsperre gefangen hatten. Holzbänke, Tische und Laufstege machten die Anlage recht romantisch. Bevor der Bach jedoch in den Schlittenbach mündete, hatte schon Friedrich Linden sen. unweit der Villa Linden einen großen Badeteich für die Kinder angelegt , der gleichzeitig auch als Löschteich fungierte.
Am 31. 03. 1954 wurde der 5. Sohn Klaus-Dieter Dörscheln geboren. Da das Haus in Peddensiepen darauf hin zu klein war, musste ein neuer Umzug gestartet werden.
Dieser fand im gleichen Jahr auf den Semberg b. Lüdenscheid statt. Das neue Domizil war ein Blockhaus mit offenem Kamin und einem Felsenkeller. Es war für den Sommer sicher ein romantisches Fleckchen Erde. Für eine Frau mit einem Säugling und kleinen Kindern muss es jedoch eine große Herausforderung gewesen sein, da der Ehemann mit zwei seiner ältesten Söhnen tagsüber nicht erreichbar war. Nur ein Spitz als Wachhund sollte der Familie etwas Sicherheit vermitteln.
Jahre nach dem Wegzug der Familie wurde auf diesem Grundstück die BAB Raststätte Sauerland gebaut.
Ab 1953 bis 1956 arbeitete Siegfr. Dörscheln bei verschiedenen Arbeitgebern. Ab 02.07. 1956 begann er eine Tätigkeit in dem Stahlwerk R. + H. Plate, Platehof Kr. Altena. Diese neue Tätigkeit zog notgedrungen auch einen weiteren Umzug nach sich. Am 01. 03. 1957 zog die Familie vom Semberg nach Brüninghausen in eine Neubau-Wohnung. Die Tätigkeit bei der Fa. Plate übte Siegfried bis 1960 aus, um dann jedoch auf ein Angebot der Fa. Kleuser in Remscheid einzugehen. Ein weiterer Umzug stand an, und zwar in eine Wohnung in der Villa Kleuser , Remscheider Str. 216 auf dem Goldenberg- Stadtteil Lüttringhausen. Siegfried arbeitete in dieser Firma als Dreher und Werkzeugmacher. Hier fanden, wie auch bei der Fa. R. + H. Plate auch die ältesten seiner 4 Söhne Arbeit.
Ab 1963 zog die Familie vom Goldenberg in eine Neubau-Wohnung der Fa. Kleuser zur Erdelenstr. 48/50 in Remscheid-Stadt. Im Laufe der nächsten Jahre verließen die 4 ältesten Söhne den Familienverband. Auf Grund dessen wurde die Wohnung zu groß, so dass eine kleinere Wohnung benötigt wurde.
Aus den Rentenversicherungsunterlagen geht hervor, dass das Arbeitsverhältnis bei der Fa. Kleuser bis 13.07.1971 bestanden hat.
Ab 14. 07. 1971 begann Siegfried eine Tätigkeit bei der Fa. Heyco, Remscheid. Der Arbeitsplatzwechsel wurde dadurch ausgelöst, dass die Fa. Kleuser aufgehört hatte zu existieren.
Im gleichen Jahr wurde eine kleinere Wohnung auf der Nordstrasse 150 in Remscheid bezogen. Der Familienverband hatte sich nunmehr auf 3 Personen verkleinert.
Die Umzugsserie und das Leben der Eheleute Siegfried und Edith Dörscheln endeten abrupt durch einen tödlichen Verkehrsunfall auf der BAB 1 an der Raststätte „Im Mersch“ kurz vor der Abfahrt Ascheberg, der sich am 06. Mai 1972 ereignete.
Siegfried und Edith Dörscheln waren auf dem Weg, um der Familie des ältesten Sohnes Ernst-Wilhelm Dörscheln einen Besuch abzustatten, der nun nie mehr stattfinden sollte.
Die letzte Ruhestätte der Eheleute befand sich von 1972 bis zum Jahre 2002 auf dem Friedhof in Altroggenrahmede Kr. Altena.
Literatur zu dieser Expertise:
Der Landbote 2001 H. 19
Der Landbote NF 2000 H. 2
Der Landbote NF 2002 H.25
Der Landbote NF 2002 H.26
Der Landbote NF 2002 H.27
Der Landbote NF 2002 H.28
Siehe auch Familienfotos und Datenblätter
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