Homepage der Familie Dörscheln
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102 — Die Füße im Feuer

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte ste­ht ein Turm.
Der Don­ner rollt. Ein Reit­er kämpft mit seinem Roß,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Man­tel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Git­ter­fen­ster schim­mert gold­en­hell
Und knar­rend öffnet jet­zt das Tor ein Edel­mann …

- “Ich bin ein Knecht des Königs, als Kuri­er geschickt
Nach Nîmes. Her­bergt mich! Ihr ken­nt des Königs Rock!”
- Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert’s mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!”
Der Reit­er tritt in einen dun­klen Ahnen­saal,
Von eines weit­en Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flack­erns launen­haftem Licht
Dro­ht hier ein Hugenott im Har­nisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edel­weib aus braunem Ahnen­bild …
Der Reit­er wirft sich in den Ses­sel vor dem Herd
Und star­rt in den lebend’­gen Brand. Er brütet, gafft …
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er ken­nt den Herd, den Saal …
Die Flamme zis­cht. Zwei Füße zuck­en in der Glut.

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffner­in
Mit Lin­nen blendend weiß. Das Edelmägdlein hil­ft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreck­ensstarr am Gast und hangt am Herd entset­zt …
Die Flamme zis­cht. Zwei Füße zuck­en in der Glut.
- “Ver­dammt! Das­selbe Wap­pen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind’s … Auf ein­er Hugenot­ten­jagd …
Ein fein, halsstar­rig Weib … ‘Wo steckt der Junker? Sprich!’
Sie schweigt. ‘Bekenn!’ Sie schweigt. ‘Gib ihn her­aus!’ Sie schweigt.

Ich werde wild. D e r Stolz! Ich zerre das Geschöpf …
Die nack­ten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mit­ten in die Glut … ‘Gib ihn her­aus!’ … Sie schweigt …
Sie windet sich … Sahst du das Wap­pen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dum­mer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.” —
Ein­tritt der Edel­mann. “Du träumst! Zu Tis­che, Gast …”

Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tra­cht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tis­chge­bet.
Ihn star­ren sie mit aufger­iß­nen Augen an —
Den Bech­er füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: “Herr, gebet jet­zt mir meine Lager­statt!
Müd bin ich wie ein Hund!” Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr …
Dem Diener fol­gt er taumel­nd in das Tur­mgemach.
Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pis­tol und Schw­ert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöh­nt.
Die Treppe kracht … Dröh­nt hier ein Tritt? Schle­icht dort ein Schritt? …

Ihn täuscht das Ohr. Vorüber­wan­delt Mit­ter­nacht.
Auf seinen Lid­ern lastet Blei, und schlum­mernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regen­flut.
Er träumt. “Gesteh!” Sie schweigt. “Gib ihn her­aus!” Sie schweigt.

Er zer­rt das Weib. Zwei Füße zuck­en in der Glut.
Auf­sprüht und zis­cht ein Feuer­meer, das ihn ver­schlingt …
- “Erwach! Du soll­test längst von hin­nen sein! Es tagt!”
Durch die Tape­ten­tür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager ste­ht des Schloss­es Herr — ergraut,
Dem gestern dunkel­braun sich noch gekraust das Haar.

Sie reit­en durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zer­split­tert liegen Ästetrüm­mer quer im Pfad.
Die früh­sten Vöglein zwitsch­ern, halb im Traume noch.
Fried­sel’ge Wolken schim­mern durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von ein­er nächt’­gen Wacht.
Die dun­klen Schollen atmen kräft’­gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reit­er lauert aus den Augen­winkeln: “Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Beson­nen­heit
Und wißt, daß ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl! Auf Nim­mer­wieder­sehn!” Der andre spricht:
“Du sagst’s! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schw­er … Gemordet hast Du teu­flisch mir
Mein Weib! Und leb­st … Mein ist die Rache, redet Gott.”

Con­rad Fer­di­nand Mey­er